AUSBLICKE UND EINSICHTEN – BILDRÄUME ALS ERFAHRUNGSRÄUME

von Cosima Rainer

 

Klaus Pammingers Projekt out of standby besteht unter anderem aus einem nachgebauten Wohnzimmer, das sich durch Tapete und Teppich vom Rest des Raums abgrenzt. Die Arbeit wirkt wie ein Filmset. Im Bildvordergrund steht eine Figur, die einem den Rücken zuwendet. Erst auf den zweiten Blick fällt auf, daß es sich um ein partiell undurchsichtiges Dia (im Diasecverfahren) hinter Plexiglas handelt.

Pamminger zeigte dieses Setting erstmals am 23. September 1998 und hatte dafür ein Wiener Atelier kurzfristig in den Ausstellungsraum Westbahnstraße umfunktioniert. Die obligate Vernissage, begleitet von vorausgehenden Einladungskarten und Presseinformationen, diente allerdings als Köder, um das Werk zu komplettieren. Ein zur Weiterverarbeitung vorbereitetes Szenario erwartete die gewissermaßen in einen präparierten Bildraum gelockten Besucher. Jene, die sich inmitten des Bildraums, also in der Produktionsebene niederließen, wurden nicht nur gefilmt und direkt über einen Monitor in die Szene zurückgespiegelt, sondern auch ihre Gespräche, Interpretationen und ihr Small talk sind mit aufgezeichnet worden. Gesprächsfetzen daraus wurden in Textform später mit Fotos aus den entsprechenden Videosequenzen zusammengeführt. Dem folgend hat Pamminger auch drei Abbildungen für die vorliegende Eikon-Ausgabe gestaltet. Die Eröffnungsrede, gehalten innerhalb des Settings von der Kuratorin Stella Rollig, avancierte ebenfalls zu einem Teil des Werks. Auf Video festgehalten, sah und hörte man diese während der gesamten Ausstellungsdauer innerhalb des Bildraums. Die Rede fungierte dadurch nicht allein am Eröffnungsabend konstituierend und legitimierend, sondern diese Funktionen wurden dem Werk an sich implementiert.

Die in Pammingers Bühnenraum gespielte Szene ist die Eröffnung selbst. Einerseits vermittelt das Setting durch Videoerfassung in Bild und Ton Aspekte der Überwachung, anderseits kokettiert es damit, voyeuristische Einblicke in die Sphäre des Privaten zu offerieren. Überwachung wie Voyeurismus führten vor Ort zu Befangenheit. Jeder verspürte, welche Doppelbedeutung der Ausdruck "Eröffnung" mit sich führt. Neben ihrer Funktion als gesellschaftliches Ereignis haben Ausstellungseröffnungen ebenso einen exhibitionistischen Charakter: bislang Privates wird enthüllt und veröffentlicht. In out of standby zeigt sich freilich nicht bloß der Künstler auf diese Weise. Das beunruhigende Beobachtet-Werden verunmöglicht einen distanzierten Sehgenuß.

Ökonomische Bedingungen von "Geschmack"

Jedoch erzeugte nicht das Kamera-Monitor-Arrangement das größte Gefühl von Befangenheit, sondern die "persönliche" Einrichtung des "Zimmer"-Settings. Im Tabubereich des Privaten haben sich demnach offensichtlich einige Parameter verschoben. Die Einrichtungsgegenstände, ohne Beschönigungsversuche präsentiert, wirken alltäglich abgenutzt. Besonders fällt der Stilmix auf. Neben Op-art-Tapeten und Lampen aus den siebziger Jahren finden sich Sessel aus den fünfziger und zwanziger Jahren sowie ein Fernseher aus den Achtzigern. Die Gegenstände könnten sich zufällig durch die Jahre angesammelt haben. Als Kontrast dazu hängt an der Wand ein Foto eines perfekt designten Siebziger-Jahre-Zimmers. Im Gegensatz zu diesem Werbebild wirkt die reale "Wohnzimmer"-Einrichtung eher ärmlich. Zusammenstellungen dieser Art verweisen nicht zuletzt auf die ökonomischen Konditionen von Lebensgestaltung und folglich auch "Geschmack". Tatsächlich basieren die Szenen, die Pamminger in Ausstellungsräumen arrangiert, oft auf Versatzstücken seiner eigenen Wohnung. Die Gestaltung in out of standby reflektiert dementsprechend die siebziger Jahre als die Jugendzeit des Künstlers. Im Gegensatz zu den "schicken" Installationen, wie man sie im Kunstbereich besonders im Zusammenhang mit dem Revival der siebziger Jahre kennt, ist diese Geschichtsrekonstruktion direkt und distanzlos. Sie konfrontiert die Betrachter mit den ungestylten Aspekten dieser Zeit. Man sitzt befremdet zwischen künstlichen, realen, intimen und veralteten Dingen. Die "verglaste" "Wohnzimmer"-Tür suggeriert einen Durchblick, wo eine Frau zu sehen ist, die eine Weinflasche trägt – ein Ausschnitt, der aus der privaten Realität des Künstlers stammen oder ein Teil der Eröffnung sein könnte. Die Sphären durchdringen einander.

Ein virtueller Käfig

Auch in seiner früheren Arbeit insight (1997) thematisiert Pamminger Blickpositionen und Realitätsebenen. Diese Installation besteht aus einem "Wohnzimmer"-Setting mit zwei Sesseln und einem Fernseher. Wenn die Arbeit als Selbstporträt betrachtet wird, staunt man vielleicht über das darin entworfene Künstlerbild: Zigarette rauchend und Bier trinkend, lungert in einem Sessel der Künstler – als fotografisches Abbild auf Plexiglas, maßstabgetreu in den Realraum eingepaßt – und schaut entspannt auf den Fernsehmonitor, auf dem zu sehen ist, wie Ausstellungsbesucher in seine Privatsphäre dringen. Pamminger visualisiert einen virtuellen Käfig, in dem Betrachter und Künstler enthalten sind. Das Bild blickt auf eine Szene, für die es seinerseits eine Szene ist. Interpretation und Rezeption werden mit der Produktion kurzgeschlossen. In dieser Schleife schauen die Betrachter aus dem Bild heraus und in es hinein.

Solche Closed Circuits setzen Künstler seit den frühen siebziger Jahren mit zunehmend verfügbarer Videotechnik (Rekorder gibt es seit 1965) ein. Am Ausgang stand die Idee einer Kunst ohne Hierarchie zwischen Betrachter und Produzent; mit dem Übergang vom Happening zur Performance-Kunst jedoch ging eine starke Formalisierung beziehungsweise Aufhebung der Interaktion mit dem Publikum einher. Bruce Nauman etwa ging es in seiner Closed-Circuit-Installation Live Taped Video Corridor (1970) nicht mehr um kreative Partizipation, sondern um die Konditionierung des Betrachters durch das Werk, das ihn durch Verunsicherung auf seine eigene Körpererfahrung zurückwirft. In Folge interessierten sich Künstler wie Dan Graham vorwiegend dafür, die Betrachter mit ihrem eigenen Bild zu konfrontieren. Relevante Arbeiten auf diesem Gebiet stammen von Peter Weibel, der seit 1973 mittels Closed Circuits als komplexe beobachterzentrierte Systeme über die Beobachtung der Beobachtung arbeitet.

Mit geschlossenen Regelkreisen läßt sich die Zwiesprache von Betrachter und Werk im Kunstsystem reflektieren. Das Gemisch von psychischer und reflexiver Selbsterfahrung konstituiert ein Spannungsverhältnis, mit dem sich der Beobachter im Closed Circuit konfrontiert sieht.

Verhalten von Kunstbetrachtern

Einer Versuchsanordnung gleich erhebt Pammingers Installation das Verhalten von Kunstbetrachtern zu ihrem Untersuchungsgegenstand. Ein Entkommen ist kaum möglich. Daß jeder Betrachter-Blick aus dem Setting von out of standby grell durch Scheinwerfer zurückgeblendet wird, legt den Vergleich mit der Theaterbühne nah. Als exemplarisch für die Durchleuchtung der Rolle des Publikums und einer sich daraus ergebenden Konfrontation mit seiner passiven Rolle kann dabei Peter Handkes "Rederei" Publikumsbeschimpfung (1966) gelten, worin der Schriftsteller die verdrängte Haßliebe dieses Abhängigkeitsverhältnisses artikuliert und die Gesetzmäßigkeiten des Theaters aufzeigt. Anstelle einer unverbindlichen Illusionierung rückt das Publikum selbst zum Thema auf, sitzt im Licht, wird in direkter Anrede gestellt und unerbittlich auf sich selbst zurückgeführt.

Theatralik steckt gleichfalls in Pammingers Inszenierung, doch verknüpft er das inszenierte Ereignis der Eröffnung auf geschickte Weise mit einer Reflexion über ästhetische Grenzen und erhöht somit das symptomatische Spannungsfeld, das diese erzeugen. Unter Pammingers Regie werden Betrachter ebenso zu Koproduzenten wie zu Statisten eines formalen Gesamtbilds.

Für die Zeitschrift Eikon, die sich auf den Künstlerseiten auch als Ausstellungsraum versteht, konzipiert Klaus Pamminger eine weitere Betrachtungsmöglichkeit.

 

[EIKON Heft 26/27, 1999]